Mehr als neun Millionen Menschen in Deutschland leiden an Inkontinenz (Quelle: Deutsche Kontinenzgesellschaft). Gerade in der ambulanten Pflege, sprechen die Menschen häufig nicht darüber und behelfen sich mit ungeeigneten Hilfsmitteln. Pflegekräfte haben die Aufgabe zu beraten und aufzuklären, Sicherheit zu vermitteln und auch mit bei dem häufig Scham behafteten Thema professionell begleiten zu können. Dafür braucht es Grundlagenwissen und Erfahrung.
Inhaltsverzeichnis:
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Reihe: Inkontinenz- Grundlagen zum Refresh (Harninkontinenz Teil 1 von 4)
Im Folgenden Artikel finden Sie ein kleines Refresh. Häufig hatte man während der Ausbildung die Grundlagen und vielleicht mal eine Fortbildung eines Inkontinenzmaterialanbieters und in der Praxis bestehen eben häufig doch Unsicherheiten über einige grundlegende Faktoren.
Definition
Inkontinenz nennt man die fehlende oder mangelnde Fähigkeit des Körpers, den Blasen- und/oder Darminhalt sicher zu speichern und selbst zu bestimmen, wann und wo er entleert werden soll. Unwillkürlicher Urinverlust oder Stuhlabgang sind die Folgen.
Unkontrollierter Urinverlust ist das äußere Zeichen für eine Harninkontinenz. Je nach Ursache des Urinverlustes werden folgende Formen unterschieden:
- Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz genannt) – wird durch alltägliche Belastungen ausgelöst (heben, tragen, husten, niesen oder lachen) Diese Form ist besonders bei Frauen weit verbreitet. Bei dieser Form von Inkontinenz kommt es zu einem unwillkürlichen Urinabgang durch die Harnröhre. Der Urin geht meist in Spritzern ab, weil der Schließmechanismus der Harnröhre geschädigt ist. Ursachen bei Frauen: Schwächung der Beckenmuskulatur (durch Schwangerschaft, Geburt oder hormonelle Umstellung). Ursachen bei Männern: Prostata-Operation.
- Dranginkontinenz (Syndrom der überaktiven Blase) Hier geht der Urin meist im Schwall durch die Harnröhre ab. (Überfallartiger Harndrang mit dem Gefühl den Urin nicht mehr halten zu können). Ursachen: Instabilität des Blasenmuskels, Blasenentzündung, Tumore (Hinweis: Wichtig für eine Behandlung: Eine neurologische Erkrankung muss ausgeschlossen werden)
- Mischinkontinenz Belastungs- und Dranginkontinenz können auch zusammen auftreten
- Überlaufinkontinenz Bei voller Blase, läuft einfach so Urin ab. Es handelt sich bei dieser Form der Inkontinenz um ein unkontrollierbares Überlaufen der Blase aufgrund einer (Ursachen) blockierten Harnröhre oder einer schwachen Blasenmuskulatur, Tumore, Harnsteine, Prostatavergrößerung (Männer sind bei dieser Form häufiger betroffen als Frauen)
- Supraspinale und spinale Reflexinkontinenz (Neurogene- Detrusor –Hyperaktivität) Hier geht das Gefühl dafür verloren wann die Blase voll ist. Damit einher geht auch der Verlust der Kontrolle über den Harndrang. Folge: Plötzliche Blasenentleerung. Bei der spinalen liegt eine Schädigung des Rückenmarks vor die durch Erkrankungen oder Verletzungen hervorgerufen wurde (es besteht keine Kontrolle über Blasen und Schließmuskel).
- Extraurethrale Inkontinenz Bei dieser Erkrankungsform geht Urin durch fehl angelegte oder fehlgebildete Gänge ab, das heißt nicht durch die Harnröhre (Urethra). Bei Kindern können Fehlmündungen des Harnleiters oder Fehlanlagen der Harnröhre die Auslöser dafür sein. Wenn die Erkrankung im Erwachsenenalter auftritt, liegt die Ursache meist in Urinfisteln, zum Beispiel Fisteln zwischen Blase und Scheide oder zwischen Harnleiter und Darm. Fisteln sind kleine Gänge, die sich im Körperinneren bilden können. Verbindet eine Fistel die Blase mit der Scheide oder dem Enddarm, tröpfelt der Urin durch diese Fistel nach außen. Durch eine Operation kann meist der natürliche Ausscheidungsweg wiederhergestellt werden.
- Enuresis (nächtliches Einnässen bei Kindern) Nächtliches Einnässen sollte nach dem 5. Lebensjahr nicht mehr regelmäßig vorkommen. Ein Facharzt sollte abklären, ob ein Harnwegsinfekt oder psychosomatische Auslöser die Ursache ist.
- Nykturie (nächtliches Wasserlassen bei Erwachsenen) Wenn man mehr als zweimal pro Nacht auf die Toilette Wasser lassen muss, obwohl nicht mehr als üblich getrunken wurde. Es ist ein vermehrtes Wasserlassen in der Nacht. Hier gibt es vielfältige Ursachen die von einem Facharzt erkannt werden müssen.
Da es so viele unterschiedliche Formen der Inkontinenz gibt, ist es wichtig, dass die körperlichen Funktionsstörungen und Ursachen Schritt für Schritt angeschaut werden, um angemessen behandeln zu können.
Zur Versorgung inkontinenter Patienten sind geeignete Hilfsmittel unerlässlich (harnaufsaugende und harnableitende Systeme). Die Anwendung erfolgt begleitend zur Therapie und/oder sichern dem Patienten die sog. soziale Kontinenz zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Es gibt eine Vielzahl an Hilfsmitteln und Möglichkeiten, die es erlauben auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten einzugehen.
(1) Aufsaugende Inkontinenzhilfsmittel
Inkontinenzslips, -einlagen, -unterlagen
(2) Ableitende Inkontinenzhilfsmittel
Kondomurinalsysteme, Katheter
(3) Medikamente
In den letzten Jahren wurden einige Medikamente entwickelt, die bei bestimmten Formen der Harninkontinenz sinnvoll und erfolgversprechend sein können und aus dem Behandlungsrepertoire nicht mehr wegzudenken sind. Sie haben ihre Domäne insbesondere bei der Behandlung von Symptomen einer Detrusorhyperaktivität wie erhöhte Miktionsfrequenz am Tag (Pollakisurie) und in der Nacht (Nykturie), imperativer Harndrang und Dranginkontinenz.
(4) Chirurgische Therapiemöglichkeiten
(5) Elektrostimulation/Biofeedback
(6) Minimal invasive Therapiemöglichkeiten
(7) Medizinprodukte
Auf die Hilfsmittel und Maßnahmen wird im nächsten Blogbeitrag näher eingegangen. Die Aufgabe von Pflegekräften in Bezug auf das Thema Inkontinenz ist, dafür zu sorgen, dass eine Aufklärung und Beratung stattfindet, dass die passenden Hilfsmittel vor Ort sind und diese auch korrekt genutzt werden, Toilettentraining initiiert wird (wenn angebracht) und achtsam (und nicht bloßstellend) mit dieser Scham behafteten Thematik umgegangen wird. Auch Hilfen wie Miktionsprotokolle etc.sollten gezielt eingesetzt werden.
Das einordnen in Kontinenzprofile soll dabei helfen, die Art der Inkontinenz und den Hilfebedarf festzustellen und dementsprechend Maßnahmen zu ergreifen. Das Kontinenzprofil sollte in der Pflegedokumentation aufgenommen werden.
Kontinenzprofile
Laut Expertenstandard gibt es sechs Profile:
– Kontinenz,
– unabhängig erreichte Kontinenz,
– abhängig erreichte Kontinenz,
– unabhängig kompensierte Inkontinenz,
– abhängig kompensierte Inkontinenz und
– nicht kompensierte Inkontinenz.
Hier einmal mit Erläuterungen:
Im nächsten Blogbeitrag schauen wir uns die aktuellen Materialien so wie Auszüge aus dem Expertenstandard noch einmal genauer an.
Alle Beiträge zum Thema “Inkontinenz” im Überblick
- Inkontinenz – Grundlagen zum Refresh Teil 1
- Inkontinenz – Grundlagen zum Refresh Teil 2
- Inkontinenz – Grundlagen zum Refresh Teil 3
- Inkontinenz – Grundlagen zum Refresh Teil 4