Sterbefasten – ein Weg des Sterbens?

Sterbefasten – ein Weg des Sterbens?

Dem Leben ein selbstbestimmtes Ende setzen, wenn das Leid zu groß ist. Eine der wenigen Möglichkeiten in Deutschland ist das „Sterbefasten“. Hierbei entschließt sich eine entscheidungsfähige Person aufgrund unerträglich anhaltenden Leidens freiwillig und bewusst, auf Essen und Trinken zu verzichten, um den Tod frühzeitig und selbstbestimmt herbeizuführen. Das so beschriebene Sterbefasten ist nicht zu verwechseln mit der in der unmittelbaren Sterbephase vielfach beobachteten Verweigerung von Nahrungsaufnahme, zum Beispiel durch Verschließen des Mundes.

In diesem Blogartikel geht es nicht um ein Für und Wider des Sterbefastens, sondern um eine neutrale Betrachtung dieser Thematik.

Lesezeit: 9 Minuten / 1304 Wörter

Der Begriff „Sterbefasten“ erklärt

Der Begriff „Sterbefasten“ ist unter Fachleuten umstritten, denn er könnte mit einer religiösen Handlung assoziiert werden. FVET für Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken bzw. FVNV für Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit sind die fachlichen Bezeichnungen. In der klinischen Praxis zählen auch Fälle dazu, in denen Patienten die Nahrungsaufnahme abbrechen, aber die Flüssigkeitszufuhr beibehalten.

Sterbefasten aus juristischer Sicht

Fragen, die den rechtlichen Bereich berühren sind etwa ob Sterbefasten einen Suizid oder ein selbstbestimmtes, natürliches Ableben darstellt. Ist es für diejenigen, die sich daran beteiligen ein assistierter Suizid oder eine aktive, passive oder indirekte Sterbehilfe? Was ist erlaubt und was strafbar?
Dazu zunächst ein paar grundsätzliche Begriffsklärungen:
Beihilfe zum Suizid bezeichnet die Unterstützung bei der Selbsttötung, beispielsweise durch die Beschaffung oder Bereitstellung eines tödlichen Mittels. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur aktiven Sterbehilfe besteht darin, dass der Patient das Medikament selbst einnimmt. Im Gegensatz zur Beihilfe bzw. zum assistierten Suizid verabreicht bei der aktiven Sterbehilfe eine andere Person dem Patienten ein tödlich wirkendes Mittel. In den Niederlanden, Luxemburg, Spanien und Belgien ist dies legal, in Deutschland ist diese Art der Sterbehilfe jedoch verboten.
Unter passiver Sterbehilfe versteht man den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen. Dazu zählt zum Beispiel der Verzicht auf Nahrung, Bluttransfusion oder Beatmung. Eine indirekte Sterbehilfe ist die Medikamentengabe im Rahmen der Schmerzlinderung, die zur Folge hat, dass der Patient früher verstirbt. Diese Formen der Sterbehilfe sind in Deutschland erlaubt. [Quelle: https://www.ndr.de/kultur/Sterbehilfe-Was-ist-in-Deutschland-erlaubt-was-strafbar,sterbehilfe386.html]

Allerdings gibt es auch hierbei die Einschränkung durch den §216 StGB Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung Abs. 1 „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Abs. 2 besagt: „Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“
Beim Sterbefasten geht es nicht nur um den Verzicht auf Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, sondern ob hierbei Assistenzleistungen bereitgestellt werden. Dazu gehören:
• Beratung
• Zur-Verfügung-Stellung eines „Sterbezimmers“ in einem Hospiz o.ä.
• Regelmäßige Benetzung der Mundschleimhaut (um das Durstgefühl zu lindern)
• Psycho-soziale Begleitung
• Waschen, Wechseln der Bettwäsche/ Kleidung; sanitäre Versorgung
• Ggf. geringfügige Flüssigkeitsgabe, um die Wirksamkeit von Schmerzmedikamenten sicherzustellen
• Verabreichung von Schmerzmitteln
• Anschließende Todesfeststellung mit weiterer „Abwicklung“
[Quelle: https://www.dr-riemer.com/sterbefasten-aus-rechtlicher-sicht]

Ursache eines Sterbewunsches

Die Ursache eines Sterbewunsches kann eine schwere unheilbare Erkrankung sein, auf deren Ende man trotz bester medizinischer Versorgung nicht warten will, eine langjährige unheilbare Erkrankung mit abnehmender Lebensqualität (z. B. Multiple Sklerose, Parkinson, Diabetes, Demenz) oder Einschränkungen der Lebensmöglichkeit z.B. durch Erblindung oder schwerwiegender Amputation. Damit verbunden ist häufig die Sorge um einen zunehmenden Kontrollverlust über das eigene Leben.

Tabuzone Sterbefasten

In Fachkreisen ist das Sterbefasten immer noch zu großen Teilen in der Tabuzone, denn wenn man sich damit befasst, wirft das Thema schwierige Fragen auf. Unweigerlich gelangt man zu der Frage, wie man zu assistiertem Suizid steht. Andererseits streitet man sich, ob es sich bei dieser selbstgewählten Art des Sterbens überhaupt um Suizid handelt, wenn der Mensch, der diesen Weg wählt, als dem Tod bereits geweiht gilt. Im Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) aus dem Oktober 2019 heißt es: „Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken ist nicht als Suizid zu bewerten“. Der Entschluss dazu sei zu respektieren. Der DGP-Vizepräsident Urs Münch, Psychologischer Psychotherapeut und Psychoonkologe führt aus: „Ein lebensbedrohlich erkrankter Mensch, der auf Essen und Trinken verzichtet, um das Sterben zu beschleunigen, sucht in der Regel nach einem Ausweg aus einer Situation, in der er Angst vor Leiden und vor dem Verlust seiner Würde und Autonomie hat.“

Man nimmt an, dass es sich beim Sterbefasten um eine sanfte und humane Art zu sterben handelt. Denn anders als bei einem tödlich wirkenden Medikament, nach dessen Einnahme der Tod bald darauf eintritt, ist das Sterben beim Fasten ein längerer Prozess. Abhängig von der Konstitution und Grunderkrankung der Patienten tritt der Tod meist erst innerhalb von 14 Tagen ein. Im Vergleich zu anderen Selbsttötungsmethoden kann das Fasten in der ersten Zeit noch ohne bleibende Folgen abgebrochen werden.

Ärzte und Gesundheitsforscher aus dem US-Bundesstaat Oregon untersuchten 100 Fälle von todkranken Sterbefastenden. 85% der Menschen, die sich für diesen Weg entschieden haben, starben innerhalb von zwei Wochen. Nach Einschätzung der Schwestern und Pfleger war deren Tod nicht grausam und wurde auf einer Skala von 0 – für sehr schlecht bis 10 für sehr friedlich – mit acht Punkten bewertet.

Palliative Care – Begleitung von sterbefastenden Personen

Der Schweizer Pflegewissenschaftler André Fringer und sein Team führten im Rahmen eines Forschungsprogrammes namens „Forschung in der Palliative Care“ eine Befragung mit 1672 Schweizer Hausärzten und leitenden Pflegefachleuten durch. Davon hatten 627 schon einmal eine sterbefastende Person begleitet. Die Mehrzahl dieser Personen war älter als 70 Jahre und litt an Krebs. Die verbleibende Lebenserwartung betrug bei fast der Hälfte der Patienten maximal vier Wochen. Die Gründe, warum sich die Patienten für das Sterbefasten entschieden waren unter anderem Schmerzen, Erschöpfung, geringe Lebensqualität, Einsamkeit, Verlust der Autonomie und Lebensmüdigkeit.
Die begleitenden Fachleute berichten, dass die Patienten nach drei Tagen kaum noch Hunger verspüren, schläfrig werden, dies als angenehm empfinden und geistig dabei noch sehr klar sein können. In der zweiten Woche können Delirien, Verwirrung und Unruhe auftreten. In den letzten drei Tagen vor Eintreten des Todes wird in 46% der Fälle von Schmerzen berichtet. Weitere häufig auftretende Symptome seien Übelkeit (41%), Durst (48%), Atemnot (40%), Panikattacken (35%) und Unwohlsein (39%). [Anmerkung: Hier stellt sich die Frage, inwiefern die beschriebenen Symptome spezifisch dem Sterbefasten zuzurechnen sind oder Teil des natürlichen Sterbevorgang sein können]
Um diese Symptome zu mildern wurde in einigen Fällen Sedierung gegeben. Eine Sedierung in der ersten Zeit des Sterbefastens beschreibt Fringer als kritisch, denn man nimmt dem Patienten die Möglichkeit, das Fasten noch abbrechen zu können. Der Sterbewissenschaftler beschreibt das Sterbefasten als ein „Gehen lassen“. Trotz des Forschungsprogrammes zieht er das Fazit, man wisse noch viel zu wenig über das Sterbefasten, um es als „die sanfte Art des Sterbens“ beschreiben zu können.

Demenz und Sterbefasten

Aber wie sieht die Entscheidungsgrundlage bei Demenzerkrankten aus? Wann wäre hier der Zeitpunkt für einen Beginn des Sterbefastens? Die Ärztekammer Nordrhein schreibt dazu, dass Demenzerkrankte eher in der Übergangsphase in die schwere Phase der Demenz unter ihrer Erkrankung leiden. In der Zeit also, wo der Kontrollverlust noch wahrgenommen werden kann. Hier ist fraglich, wann die Übergangsphase beginnt und wie schnell die Symptome stärker werden. Wie lange ist der demenzerkrankte Mensch noch entscheidungsfähig und wie zügig kann er sich zu diesem verfrühten Tod entschließen? Wie gehen Familienangehörige damit um, wenn ein behandelnder Arzt ihnen den Vorschlag unterbreitet, über die Patientenverfügung zu entscheiden, ein im Endstadium demenzerkranktes Familienmitglied über das Sterbefasten zu erlösen?

Einen Online-Artikel, der das Thema Demenz und Sterbefasten ausführlicher thematisiert, finden Sie auf der Online-Plattform alzheimer.ch unter folgendem Link: Sterbefasten und Demenz

Ethische Fragen

Rund um das Thema Sterbefasten drängen viele ethische Fragen darauf, beantwortet zu werden.
Welchen Umgang können Ärzte und Pflegekräfte mit dieser Art zu sterben finden?  Sollten Ärzte und Pfleger nicht sagen dürfen, dass sie den Patienten aus ethischen oder religiösen Gründen nicht begleiten können?
Wie können Angehörige in dieser Zeit begleitet werden? Für diese ist die Entscheidung des Patienten häufig ein großer Schock, weil der Tod des geliebten Menschen nun definitiv feststeht. Es folgt große Angst und Unsicherheit, was dann in der Versorgung und Begleitung zu bewältigen sein wird.
Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass der Umgang mit dieser Situation einer sorgsamen Vorbereitung und Unterstützung bedarf, nicht nur für den schwerstkranken Menschen und die Angehörigen, sondern auch für das Palliativteam. Und es bedarf der Kommunikation über diese Art und Weise, dem Leben ein Ende zu setzen.

Es ist ein komplexes Thema, das noch viel Auseinandersetzung braucht. Wenn Ihr Euch intensiver damit beschäftigen möchtet, findet Ihr unter diesem Artikel weiterführende Links. Schreibt uns auch bitte an, wenn Ihr weitere Fragen oder Anregungen zu dieser Thematik habt oder Euch weitere Inhalte wünscht.

Bis zum nächsten Beitrag!

Dana Gaycken

Weiterführende Links zu diesem Thema:

Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin positioniert sich erstmals zum Sterbefasten

Sterbefasten – eine ethische Bewertung von Prof. Dr. Dr. Birnbacher

https://www.sterbefasten.org/ Die Schweizer Webseite enthält Berichte von Palliativärzten sowie Fallbeispiele.

Online-Artikel der Aargauer Zeitung “Auch Krebskranke fasten, um zu sterben – wer tut es noch, und warum?”

https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__217.html

 

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